Rentner in Kassenschlangen

Es ist der 22.12.2010 und wie die meisten Menschen in Deutschland bereite ich mich durch etliche Einkäufe auf die festlichen Essen der nächsten Tage vor. Erste Pflicht: “Nichts darf fehlen”.

Ich versuche mich von nichts und niemandem unter Druck setzen zu lassen und den Stress in Grenzen zu halten. Das diesjährige Schneechaos hält sich heute mal in Grenzen, aber einen Parkplatz zu bekommen wird durch die aufgehäuften Schneemassen erheblich erschwert. Während ich eher gleitend als rollend rückwärts in eine enge Lücke rutsche, tippelt ein mindestens 75-jähriger hinter mir in die Lücke;  nur bremsen verhindert einen Unfall. “Muss das sein?”, frage ich mich und: “Hat ein Mann in diesem Alter nichts über Gefahren hinter rückwärtsfahrenden Autos gelernt?”

Endlich in die Lücke gerutscht begebe ich mich zur nächsten Bank. Am Geldautomaten lange Schlangen. Keine diskreten Abstände mehr zum Operierenden am Automaten, schließlich haben es alle eilig (…als würde es durch drängeln schneller gehen…). Nach fünf Leuten vor mir und mindestens 5 Schubsern und 3 Tritten in meine Hacken bin ich endlich dran. Kaum habe ich die Karte eingeschoben, höre ich schon einen Seufzer und spüre den warmen Atem der 80-jährigen hinter mir in meinem Nacken. Der nächste Schubser in meinen Rücken führt fast zur Kollision meines Kopfes mit dem Automaten. Ich drehe mich kurz um und gucke wohl sehr böse auf die alte Dame. Sie guckt weg, bleibt aber dicht an mir stehen. Seit ich in der Schlange stehe, kämpfe ich mit stark auftretender Flatulenz und versuche damit niemanden zu belästigen. Jetzt will ich aber jemanden belästigen und mache mir Luft. Die Dame hinter mir hört die entsprechenden Geräusche und schimpft:  “So eine Unverschämtheit…”. Ich drehe mich um, lächle sie an und sage: “Mit einem diskreten Abstand hätten sie jetzt kein Problem damit.”.

Aus der Bank raus geht es in den Drogeriemarkt. Der ist gerade mal einigermaßen schlecht besucht und ich kann mich ein wenig entspannen. Mit Klopapier und einer Rolle Müllbeutel, gehe ich an die noch freie Kasse, die Kassiererin scannt und will mir gerade die Summe sagen, schreit ein wohl schwerhöriger älterer Herr: “Wisse sie wo des Angebotszeusch von letzter Woche is?”.
Die Kassiererin sagt: “Die Reste haben wir hinten rechts in die Ecke geräumt, schauen sie doch mal da.”
Der ältere Herr: “Wisse sie nedd wo des jetzt iss?”.
Die Kassiererin (jetzt lauter): “Was meinen sie denn für ein Angebot?”.
Der ältere Herr: “Ei die Expressomaschien.”.
Die Kassiererin (immer noch laut): “Die iss schon ausverkauft!”.
Die durch diese Aussage entstandene Pause nutze ich: “Könnten wir jetzt vielleicht den Zahlungsvorgang abschließen?” .
Die Kassiererin: “Äh, ja. Entschuldigung.”
Ich halte Ihr die EC-Karte hin und sie mir wortlos das Gerät. Karte rein, Pin eingeben, warten. Inzwischen hat sich eine lange Schlange hinter mir gebildet, die nächste hinter mir, eine Rentnerin schubst mich schon ein zweites mal weil sie total zappelig von einem Fuß auf den anderen wackelt. Durch die Schubserei bin ich wohl beim eingeben der Pin auf die falsche Taste gekommen.
Die Kassiererin: “Falsche Pin eingegeben, bitte noch mal!”. Die Rentnerin hinter mir ist schon kurz vor dem Infarkt und seufzt.
Ein junger Möchte-gern-Manager-Typ meint: “Das bisschen Zeug mit der Karte zahlen und dann die Pin nicht kennen.”
Ich: “Zahlen sie doch das bisschen Zeug einfach mit.”.
Er schweigt.
Der Sonderangebotsjäger: “Wisse sie viellaischt ob  ihr Filial in Bockenheim noch e Maschien hat?”
Die Kassiererin (ignoriert jetzt den Rentner): “So jetzt hat es geklappt. Vielen Dank, ihr Bon, ihre Karte nicht vergessen, Wiedersehen.”
Ich denke: “Ruhig bleiben, Manni du hast gleich alles erledigt, nur noch in den Supermarkt.”

Im Supermarkt läuft es ziemlich ruhig und gelassen ab, abgesehen mal von der nicht richtig funktionierenden Brotschneidemaschine, den 3 Remplern irgendwelcher jungen Schnösel und der muffigen Antwort einer Regalkraft auf meine Frage wo den jetzt der Vanillezucker steht.
Wie auch immer ich habe es bis zur Schlange an der zur Zeit einzigen Kasse geschafft und mein Wagen ist brechend voll.
Der Kassierer hat schon zweimal nach Unterstützung geklingelt, bekommt er aber noch nicht. Die gerade hinter mir angetretene Rentnerin (mit einem Päckchen Backpulver und 2 Litern Milch) stöhnt: “Oh nein!” und schimpft dann laut: “Könne sie nedd ne zweit Kass uffmache?”
Der Kassierer fühlt sich nicht angesprochen.
Ich wende mich der alten Dame zu: “Möchten Sie vielleicht vor, mein Wagen ist so voll und ich habe ja noch soo viel Zeit.”.
Sie strahlt (hat die Ironie nicht mitbekommen): “Ja gerne, das ist aber nett.” Sie hat jetzt trotzdem noch 5 richtig volle Wagen und 3 zur Hälfte beladene vor sich.
Ich spüre jetzt einen stechenden Schmerz in meiner Verse und sage: “Autsch!”. Hinter mir ist ein weiterer, möglicherweise über 90-jähriger Rentner mit seinem Wagen in meine Hacke gefahren.
Der Greis: “Ntschuldischung!”.
Ich: “Sie scheinen es auch eilig zu haben, aber glauben sie mir, es geht nicht schneller durch schubsen.”.
Eine Mitarbeiterin des Supermarktes öffnet eine 2. Kasse und sagt: “Sie können auch gerne zu mir kommen” in Richtung der 12 Wartenden.
Ein Sturm bricht los in dem die beiden Rentner eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Die Rentnerin ist die Erste an der 2. Kasse, die 2 Liter Milch fallen ihr allerdings noch vor dem Kassentransportband auf den Boden. Eine junge Schminktussi wirft nicht nur 2 Flaschen Flüssigseife, sondern auch sich selbst zu Hälfte vor ihr auf das Band.
Der hinter mir stehende Greis hat bemerkt, dass ich nicht an diesem Rennen teilnehmen will und schießt erstaunlich leichtfüßig an mir vorbei, wobei er mit seiner Karre kurzer Hand über meinen linken Fuß fährt.

“Ruhig Brauner”, sage ich zu mir selbst und überlege ob ich das nächste mal  zu einer anderen Uhrzeit einkaufe.
Dann denke ich darüber nach, ob ich in so einem Alter vielleicht auch so sein werde.

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